Gestern Abend gab es noch Theater mit der Familie, was mich vor einem guten Schlaf bewahrt hat. So wird es heute fast 10 Uhr, bis wir loskommen. Die Sonne steigt gerade über die Gipfel und trocknet noch schnell das Zelt - das "gewaschene" T-shirt bleibt feucht. Es muss am Körper trocknen. Mein Zeltplätzchen auf halber Höhe des Col d' Izoard war jedoch wieder mal atemberaubend - eine große Wiese mit Bach, eine gefasste Quelle, Tischchen und Strauchwerk zum verstecken. Am Feldweg nebenan kamen gelegentlich Bauern oder auch die Polizei vorbei, aber die wollten nichts von mir.
Der nächste Pass (Col de Vars) wartet mit deutlich lieblicheren, weicheren Kurven auf als der Izoard, dessen Kehren sich fast wie Treppenstufen den Berg hinauf winden. Zuverlässig und ohne Schnaufen oder Husten krabbelt die Lisl Serpentine um Serpentine nach oben und verscheucht dabei ein einsames Murmeltier von der Straße. Am Col de la Bonette nimmt der Verkehr deutlich zu, insbesondere die Zweiräder. Aber selbst Einräder zappeln hier den Berg hinauf - alle Achtung!
Hier wird jetzt allerdings der Sprit knapp und ich führe Lisls ersten Zucker darauf zurück. Oben angekommen stelle ich allerdings fest, dass der linke Kerzenstecker ziemlich locker sitzt - ein Verbindungsstück an der Zündkerze hat sich gelöst, was ich jedoch mit meinem schweren Multitool schnell wieder in den Griff bekomme. Bei der Gelegenheit bastle ich auch den Stecker wieder an Balduin fest - vielleicht brauche ich ihn ja doch nochmal?
Der Wind frischt auf, eigentlich ist es sehr zugig geworden hier oben. Das verstärkt sich noch heftig auf dem Weg nach unten - durch das enge Tal wird die Luft wie in einer Düse nach oben gezogen und schüttelt uns ordentlich durch.
Über Nacht wurde das Handy leider kaum aufgeladen. Am Morgen kann ich etwas besser aufpassen und so bekomme ich es immerhin auf 66% hochgepuscht. Unterwegs entlädt es sich jedoch schneller als man schauen kann. Ruck zuck ist der Akkustand auf 40 % gesunken und es geht munter weiter. Ich schalte das GPS-Tracking aus - erfolglos. Ich schalte die Navigation aus und fahre nach dem "Kassenzettelplan" von gestern - erfolglos. Ich schalte das Handy komplett aus - es schaltet sich selbst wieder ein und entlädt weiter! Ich stecke es aus, schalte es aus und verstecke es im Tankrucksack. Erst kurz vor Nizza schalte ich es wieder ein, um durch den städtischen Moloch zu finden. Mitten im tiefsten, engsten Verkehr gibt es jedoch endgültig auf. Ob Balduin wenigstens das letzte Stück noch navigieren kann? Oh ja, er rettet mich! Er navigiert durch steile Einbahnsträßchen, wo selbst Autos mit der Breite Schwierigkeiten haben. Natürlich kann man vor der Haustür bei meinen Freunden nicht parken, also nutze ich den letzten freien Parkplatz beim Hotel um die Ecke. Klingeln geht auch nicht - keine da! Nochmal das Handy einschalten und ganz schnell Truls anrufen - er kommt um die Ecke und lotst mich in einen Hof, wo ich die Lisl mit allem Gepäck stehen lassen kann.
Am Abend geht's noch in den Hafen zu einem Aperitif auf dem neuen Boot und dann ins Restaurant für ein feines Abendessen. Feierabend!