Donnerstag, 26. Mai 2022

Champagne

Um halb Acht ist Aufstehen angesagt. In der Nähe schreit ein Pfau, wie auch schon gestern abend. Das Zelt ist von innen feucht, das wird aber bei diesem trüben Wetter nicht trocknen - also packe ich es noch feucht ein. Die trübe Stimmung schlägt ein wenig auf's Gemüt; so geht es auch der Lisl: beim anlassen überlegt sie kurz, ob sie auch den zweiten Zylinder zuschalten soll.
Kupplung in Ordnung, Spiegel in Ordnung, mein Kopf leider nicht. Der schwindelt seit gestern grundlos wieder, was mir gar nicht gefällt.
Am Vormittag steigert sich die hohe Luftfeuchtigkeit bis zum Nieselregen. Da der Himmel nichts Gutes verspricht, mache ich gleich alle Schotten dicht und so bleibt es fast den ganzen Tag, auch wenn es am Nachmittag deutlich besser wird.

Die Fahrt führt uns über kleine Wege (so schmal, dass selbst die Mittellinie schmal ausfällt) und malerische Landschaften zum Beispiel an einem alten, versumpften Kanal entlang nach Les Riceys mitten in der Champagne. Die Ortschaft wirkt so unspektakulär wie alle anderen, die wir heute schon passiert haben. Alte heruntergekommene Steinhäuser mit klapprigen Fenstern, verblichene Ladenschilder über geschlossenen Bäckereien oder Metzgereien. Wo wohnen denn die ganzen Menschen?
Hohe, mit Efeu überwucherte Mauern, hinter die man keinen Blick werfen kann. Aber genau dahinter verstecken sich anscheinend die Schätze des Ortes. Gelegentlich kann ich durch ein eisernes Tor einen Blick auf vornehme Anwesen, Herrenhäuser und kleine Schlösser erhaschen. Vereinzelt liest man Namen einer Kelter. Hier ist also die Heimat des Champagners? Ja, sicher! Wir fahren entlang der "Touristenrute Champagne durch ausgedehnte Weinfelder. Immer wieder tauchen auch große Keltereien auf, deren Namen in großen Leuchtbuchstaben über den modernen Hallen prangt. Es bleibt dabei, mein neues Navi findet auch hier zuverlässig die wenigen kurvenreichen Sträßchen, auf denen wir bei wenig Verkehr vor uns hin tingeln können.
"Liberté, égalité, fraternité!" findet sich an den Rathäusern und Marktplätzen. Aber was ist in der aktuellen Zeit davon übrig geblieben? Besonders in Deutschland??? Es gibt mir zu denken.

Um 16 Uhr gibt es noch ein Päuschen in einer kleinen Ortschaft. Sie bietet einen Brunnen zum Wasser nachfüllen und ein Bänkchen zum Verweilen an. Die gelbe Ginsterlandschaft wird durch hellblau blühende Leinfelder ersetzt - ein Farbwechsel. Um 17:30 Uhr habe ich dann einen Platz für die Nacht gefunden. Ein paar mal immer kleinere Abzweigungen genommen, bis wir in einem Feldweg gelandet sind, der in einen Wiesenweg zwischen Weizenfeldern übergeht. Auf der luftigen Anhöhe bleiben wir, in der Hoffnung, dass nicht ausgerechnet heute oder morgen noch ein Bauer hier vorbei will.

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